Interview mit Hans Modrow (Teil 2)

Hans Modrow in seinem Büro (Foto: Stephan Ossenkopp)

Zur Person: Hans Modrow (92) war zur Zeit der Wende und friedlichen Revolution vom 13. November 1989 bis 12. April 1990 der Vorsitzende des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik und somit Regierungschef. Später war er Abgeordneter im Bundestag und im Europaparlament. Dr. Modrow ist Vorsitzender des Ältestenrates der Partei Die Linke.

Dies ist der zweite eines dreiteiligen Interviews

Teil 2 – „Die DDR stand 1990 in eigener Verantwortung“

Welche Rolle spielten die Haltungen anderer Alliierter, vor allem der Briten, die unter der Regierung Thatcher sogar eine Kampagne gegen die deutsche Wiedervereinigung gestartet haben? Außerdem sei Mitterand damals Kanzler Kohl sehr kühl begegnet und stellte Bedingungen.

Wenn man mir die Frage stellt, ab wann ich über die Vereinigung Deutschlands nachgedacht habe, dann kann ich nur sagen, das geschah erst Mitte Januar 1990. Vorher gab es ja folgende Ereignisse: in Malta treffen sich Bush und Gorbatschow. Beide werten aus, und keiner von beiden sagt, dass die deutsche Vereinigung auf der Tagesordnung steht. Beide sind in Malta noch dabei und prüfen bestimmte Dinge. Nach Malta treffen sich Gorbatschow und Mitterand in Kiew. Dort entsteht wieder die Frage, wie man mit bestimmten Fragen umgeht. Mitterand schlägt vor, dass er und Gorbatschow nach Berlin zu einem Gespräch mit Modrow fahren, zu einem Treffen, bei dem man weiter die deutsche Frage im Rahmen des europäischen Hauses behandeln könnte. Unsicherheiten gibt es offensichtlich auch, trotz der Auswertung Maltas, innerhalb der NATO in Brüssel. Als der Außenminister Baker Mitte Dezember zu einem Treffen in die DDR kommt – er geht nicht nach Berlin, weil Berlin in ihrem Verständnis ein besonderes Gebiet ist – fand ein Gespräch in Potsdam statt. Auch hier wird abgecheckt: wie verhält sich die Regierung der DDR? Wie sind die Aussagen, die noch immer im Osten Deutschlands – in diesem Fall durch Modrow – getätigt werden? Und Mitte Januar 1990 kommt der Außenminister Großbritanniens Hurd – und es gibt wieder ein Gespräch. Das alles ist für mich die Begegnung mit der westlichen Seite und bestätigt zunächst die Haltung, die auch wir – ich persönlich auch – hatten, dass die vier Siegermächte untereinander noch keine Ausgewogenheit und keine innere Balance zur deutschen Frage haben. Das war auch die Einschätzung, die mein Außenminister Oskar Fischer – nicht zu verwechseln mit Joschka Fischer – noch immer hatte. Eine Wertung, mit der er auch noch die Teilnahme in Ottawa, Kanada, bei dem Treffen des Europäischen Rates vorbereitet hat. Aber als ich die Auswertung Gorbatschows im Rahmen des militärisch-politischen Bündnisses in Moskau am 4. Dezember 1989 erlebe, dann das Gespräch und die Beratung des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe in Sofia am 8./9. Januar 1990 – dort ist Ryschkow und kommt mit Fragen, man müsse das RGW völlig neu aufbauen, eine ganz tiefgreifende Reform durchführen – nach diesen Begegnungen mit den Führungskadern oder -kräften der Sowjetunion war mir bewusst, jetzt steht die DDR für sich im politischen Geschehen in eigener Verantwortung und die musst du als Ministerpräsident auch prüfen und übernehmen.

Und ab dann begann unsere Arbeit an diesem Dreistufenplan, mit dem zum ersten Mal ein Vertreter der DDR nach Moskau gereist ist und einen Vorschlag über die weitere deutsche Frage unterbreitete. Denn vorher, zu Ulbrichts Zeiten, und auch bei Honecker und auch bei Krenz ging es immer darum, dass die sowjetische Seite ihre Ansprüche hatte. Nun kamen wir und unterbreiteten zum ersten Mal eine Konzeption, die auch internationale Aufmerksamkeit findet. Aber die Zeit ist bereits – das merkten wir ab Februar – in einem Tempo unterwegs, wo es notwendig ist, in neuer Weise zu prüfen, wie diese Schritte weitergehen. Dazu gehört, nachdem klar war, dass die vier Mächte in den 2+4 Prozess gehen, auch die Entscheidung Modrow vom 1. März 1990. Uns wurde bewusst, dass wir vor der Frage stehen: sind die Entscheidungen der sowjetischen Militäradministration rechtens, die aus dem Potsdamer Abkommen entstanden sind von 1945-1949, die ja die Grundlage der DDR waren – Enteignung, Bodenreform, Bestrafung der Kriegsverbrecher – denn das alles geschah ja danach. Und wir hielten fest: sie waren rechtens und bleiben rechtens. Zweitens stellte sich für uns die Frage, wenn diese Rechte nicht gültig bleiben, entsteht eine Situation, dass eben auch die Bodenreform in Frage gestellt wird. Und das könnte heißen, dass nun deutsche Großgrundbesitzer die Frage stellen_ „Und welchen Boden hatten wir mal in Ostpreußen und in Pommern, den wir zurückhaben wollen?“ Auch wenn die Grenze bleibt, bleibt die Frage: wem gehört was in Polen? Und drittens stand für uns die Frage: wenn wir in ein vereintes Deutschland gehen und den Bürgern der DDR gar nichts an Rechten und Grundlagen in die Vereinigung mitgeben, dann ist es problematisch. Diese Seite hat sich ja dann auch im 2+4-Vertrag insoweit wiedergefunden, dass – obwohl nicht so verhandelt wurde, dass alle Fragen Teil des Textes wurden – Genscher und de Maizière als der nun amtierende Außenminister der DDR einen Brief an die vier Außenminister der vier alliierten Mächte schrieben, in dem die Fragen der Bodenreform, der Pflege der Denkmale und andere geregelt wurden, die nicht im 2+4-Vertrag enthalten waren. Im 2+4-Vertrag fehlt auch die Frage, die dann Gorbatschow in einem Brief an Kohl schreibt: wie verhält man sich nach der Vereinigung zu den Verantwortlichen in der DDR. Und bei der Ratifizierung des Vertrages hat der Oberste Sowjet im März 1991 eine Erklärung abgegeben, in der es sinngemäß heißt: es wird erwartet, dass Führungskräfte der DDR nicht juristisch verfolgt werden und die Menschenrechte gegenüber den Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik gewahrt und eingehalten werden. Und es gibt genügend Beweise, dass das nicht geschehen ist, denn die Vereinten Nationen, vor allem die UNESCO, hat wiederholt festgestellt, dass die Rechte der ostdeutschen Bürger nicht eingehalten worden sind, weil die soziale Gleichheit bis heute nicht existiert. Viele andere Fragen werden als ein Nicht-Einhalten des Grundgesetzes im Rahmen der Völkergemeinschaft bis heute als offen und nicht geregelt angesehen.

Es wird viel um die Frage der Erweiterung von NATO und EU bis an die Grenzen Russland gestritten (seit neuestem will die NATO sogar global werden). Wie sehen Sie als Zeitzeuge der Wendezeit, als ehemaliger DDR-Regierungschef, und als ein mit vielen politischen Akteuren Vertrauter dieses Thema?

Auch hier gibt es, wenn man so will, drei Problemfelder. Das erste war klar: meine Haltung, die Haltung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, war auf ein neutrales Deutschland gerichtet. Ich habe dazu am 1. Februar 1990 meine internationale Erklärung abgegeben. Am 4. Februar entsteht die Regierung einer Nationalen Verantwortung in der DDR mit weiteren acht Ministerinnen und Ministern des runden Tisches, und niemand hat in der Regierung der Nationalen Verantwortung diese Entscheidung oder dieses Konzept in Frage gestellt. Auch als wir uns mit Kohl in Bonn treffen, steht diese Frage nicht zur Debatte. Was im Hintergrund läuft, ist eine andere Frage. Aber Tatsache ist, dass wir zunächst als Regierung der Nationalen Verantwortung zu dem Dreistufenplan mit einem militärisch neutralen Deutschland keine distanzierende Erklärung abgegeben haben. Die zweite Seite des Problems besteht darin: für mich völlig unverständlich – aber das zeigt eben das Unvermögen von Gorbatschow in dieser Zeit in der Beurteilung und Bewertung der Kräfteverhältnisse – dass er im Mai 1990 auftritt und sagt, man müsse prüfen, ob das vereinte Deutschland nicht in beiden Militärblöcken sein müsste – im Warschauer Vertrag, der bleibt, und in der NATO, damit eine Balance entsteht. Aber klar war im Mai ’90, dass das Ende des Warschauer Vertrages bereits überschaubar war. Dann bezieht er sich darauf, dass es ja Gespräche bis zu Bush gegeben habe, wo man über solche Fragen miteinander gesprochen hätte, aber es gibt kein Dokument, in dem auch nur diese Frage im völkerrechtlichen Sinne beraten worden ist. Immer sind es nur die Erinnerungen, die einseitig von Gorbatschow kommen, aber keine Bestätigungen, die mit einem internationalen völkerrechtlichen Rahmen verbunden sind.

Lesen Sie im dritten Teil: BRICS, SCO und Chinas Neue Seidenstraße

Kommentar: Wie steht es um Putins P5-Gipfel?

Präsident Vladimir Putin in Israel (Foto: Kreml)

Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, schlug am 23. Januar dieses Jahres vor, dass sich die Staatschefs der „fünf Mächte, die besondere Verantwortung für den Erhalt der Zivilisation tragen“ – gemeint waren die im UN-Sicherheitsrat ständig vertretenen Nationen Russland, USA, Großbritannien, China und Frankreich (P5) – zu einem Sondergipfel noch in diesem Jahr zusammenfinden sollten, um vordringliche strategische Probleme der Weltgemeinschaft zu diskutieren. Putin machte diesen Vorschlag im Rahmen des Internationalen Forums zur Bekämpfung des Antisemitismus in der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel. Er sagte: „Ich denke, dass die Gründungsländer der Vereinten Nationen, die fünf Mächte, die eine besondere Verantwortung für die Erhaltung der Zivilisation tragen, ein Beispiel geben könnten und sollten.“ Ein Gipfeltreffen derjenigen Staaten, die den Hauptbeitrag zum Sieg über den Faschismus und zur Bildung der Nachkriegsweltordnung geleistet haben, könnte eine wichtige Rolle bei der Suche nach gemeinsamen Wegen zur Bewältigung aktueller Herausforderungen und Bedrohungen spielen, fügte Putin hinzu.

Russische Diplomatie

Am 4. Juli teilte der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow der Nachrichtenagentur TASS mit, Russland arbeite weiter an seinem Vorschlag für ein Gipfeltreffen der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates. Zuvor hatte Rjabkow eine russische Teilnahme an einem erweiterten G7-Treffen, wie es von Präsident Donald Trump im Mai vorgeschlagen worden war, abgelehnt, insbesondere weil der Vorschlag China ausschließe. Ohne China sei es jedoch unmöglich, bestimmte Themen in der modernen Welt zu diskutieren, so Rjabkow. Das von Putin anvisierte P5-Treffen sei „ein völlig anderes Format. Wir glauben, dass die Arbeit in diesem Rahmen, auch zu den dringendsten aktuellen Fragen, optimal ist.“ Man habe den anderen Partnern in der P5 entsprechende Vorschläge unterbreitet und warte auf deren Reaktion.

Der Botschafter Russlands in den USA, Anatoly Antonov, berichtete gegenüber Medienvertretern im Anschluss an ein Webinar des Center for the National Interest am 8. Juli weitere Einzelheiten: „Wir haben unsere Vorschläge zur Tagesordnung an unsere Partner übermittelt. Sie umfassen Schlüsselfragen der globalen Politik, Sicherheit und Wirtschaft. Datum und Ort eines solchen Treffens müssen noch festgelegt werden. Wir halten es für wichtig, eine Einigung über den Inhalt des Gipfels zu erzielen, bevor wir zu organisatorischen Details übergehen.“ Er sei von der dringenden Notwendigkeit direkter Gespräche überzeugt, vor allem um grundlegende Kommunikationskanäle wiederzubeleben und alle Möglichkeiten zum Abbau der zahlreichen Spannungen zu nutzen. Die Versuche, globale Prozesse auf unilaterale Weise zu steuern, hätten „offensichtlich in eine Sackgasse geführt,“ so Antonov.

USA hat Glaubwürdigkeit verloren

Obwohl auch US-Außenminister Michael Pompeo mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in einem Telefongespräch am 13. Juli „ausführlich die Vorbereitung des vorgeschlagenen russischen Treffens der Staatschefs der fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates“ erörtert hätte, bleiben die derzeitigen Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten einerseits, und Russland und China andererseits weiter auf hohem Niveau.

Das kam besonders in einem Gespräch von Außenminister Lawrow mit dem chinesischen Amtsinhaber Wang Yi am Freitag, den 17. Juli drastisch zum Ausdruck, als Wang sagte, die „America First“-Politik der USA und ihr Egoismus, Unilateralismus und Mobbing seien extrem geworden, und seien nicht dem Verhalten einer Großmacht angemessen. Lawrow und Wang bestätigten, dass die chinesisch-russischen Beziehungen als höchste außenpolitische Priorität der beiden Länder betrachtet würden, während Washington seinen Sinn für Vernunft, Moral und Glaubwürdigkeit verloren habe. Die russische und die chinesische Seite hatten einen eingehenden Meinungsaustausch über die Abhaltung des P5-Gipfeltreffens, der der Aufrechterhaltung der internationalen strategischen Stabilität sowie der Diskussion internationaler Brennpunktthemen dienen werde, so lautete ein Bericht in der Global Times.

Was tut die Bundesregierung?

In Deutschland fand Putins Vorschlag für ein P5-Gipfeltreffen eher wenig Widerhall, so wie die meisten Vorschläge aus Russland in der Regel erstaunlich wenig diskutiert werden. Aus dem Deutschen Bundestag konnte man vor kurzem erfahren, dass die Fraktion der AfD eine kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt habe, ob jene beabsichtige, den von Putin anberaumten P5-Gipfel in irgendeiner Weise anzuerkennen, beispielsweise durch eine indirekte Teilnahme über das Format der G4 (Deutschland, Brasilien, Indien und Japan). In der Antwort zur Anfrage lehnt die Bundesregierung jedoch jegliche Stellungnahme ab.

Ein mit der Materie vertrauter Experte aus dem Bundestag erläuterte dies auf folgende Weise: „Putin sprach darüber bereits Ende Januar. Es hätten ja einige fitte Journalisten in diesem Land aufhorchen können, weil es wirklich mehr als außergewöhnlich ist, was Putin da vorschlägt. Das gab es in den letzten 75 Jahren nicht. Das ist doch durchaus mal einen kleinen Titel wert. Aber es gab keinen Artikel, nichts. Dann spricht Lawrow auf der Münchener Sicherheitskonferenz davon. Das haben doch hunderte Verantwortlicher gehört. Kein Artikel, nichts. Überhaupt nichts dazu, obwohl das eine so Aufsehen erregende Sache ist und potenziell sehr wichtig. […] Im Grunde hätte die Bundesregierung deutlich machen müssen: ‚Wir begrüßen das, dass die fünf Ständigen über grundsätzliche Fragen sprechen, und wir und die anderen der G4 finden, dass wir auch dazukommen sollten.‘“

Bislang gibt es Zusagen von China, Frankreich und Großbritannien, während eine offizielle Erklärung zur Position Amerikas noch aussteht.

Interview mit Hans Modrow (Teil 1)

Hans Modrow in seinem Büro (Foto: Stephan Ossenkopp)

Zur Person: Hans Modrow (92) war zur Zeit der Wende und friedlichen Revolution vom 13. November 1989 bis 12. April 1990 der Vorsitzende des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik und somit Regierungschef. Später war er Abgeordneter im Bundestag und im Europaparlament. Dr. Modrow ist Vorsitzender des Ältestenrates der Partei Die Linke.

Dies ist der erste eines in mehreren Teilen erscheinenden Interviews

Teil 1 – Gorbatschows Spiel vor der deutschen Wiedervereinigung

Ein jüngst erschienenes Buch von Mikhail Gorbatschow („Was auf dem Spiel steht“) soll den Grundton haben: 30 Jahre nach dem Ende des Eisernen Vorhangs stehen wir wieder vor Kriegsgefahr und Systemzerfall. Wie sehen Sie im Rückblick auf die letzten 30 Jahre den langen Bogen der Entwicklungen? Kommen Sie zu einem ähnlichen Ergebnis?

Ich kenne das neue Buch noch nicht, habe aber erste Betrachtungen darüber gelesen. Was Gorbatschow demnach beschreibt, ist eine Selbstbetrachtung, die dem eigenen Ruhm dienen soll; und andere behaupten, es wäre ein von ihm selbst geschriebenes Testament. In den Medien wird darüber gesprochen, dass er ein Programm hinterlassen möchte aufgrund seiner Erkenntnisse mit Perestroika und dem „neuen Denken“. Was ich feststellen muss, sind zunächst zwei Dinge: Zeitzeugen mit ihren Erzählungen erweisen sich oft als Feinde der Historiker, weil sie sich nicht mit Quellen decken. Und zweitens: Akteure bringen Erzählungen, die Rechtfertigungen enthalten, selbst wenn es auf Kosten des wirklichen Verlaufs der Geschichte geht. Wenn ich vom Titel ausgehe – „Was jetzt auf dem Spiel steht“ – dann kann ich nur sagen, es bleibt zunächst zu prüfen, wie die jetzigen Spieler ausschauen und welches Spiel er damit meint. Dabei will ich versuchen, mich an eigenem Erleben und meinem eigenen Handeln zu orientieren. Historiker sollen prüfen, inwieweit ich dabei auch der Geschichte gerecht werde.

Vor wenigen Wochen hatten wir den 75. Jahrestag des Sieges der alliierten Mächte über den deutschen Faschismus. Die Sowjetunion hat die größten Lasten getragen und zugleich die entscheidenden Schlachten geführt. Es gab ab 1945 bis 1990/91 einen Kalten Krieg, und man spürt heute, dass die gesellschaftlichen Systeme mit all den Blöcken und seinen Gegensätzen diesen Kalten Krieg geführt haben. Bleiben wir bei 1990/91: Gorbatschow kommt hier in ein Spiel und wird gefragt, ob er und ab wann er überzeugt gewesen sei, dass die Vereinigung Deutschlands auf der Tagesordnung steht, und ist der Überzeugung, dass er schon länger über diese Frage nachgedacht habe. Mein Erleben mit Gorbatschow beginnt ja in persönlicher Begegnung erst am 4. Dezember 1989. Er wertete im Warschauer Vertrag seine Begegnung mit Bush in Malta aus, und ich gewann den Eindruck, dass dieser Gorbatschow, der Generalsekretär und Verantwortliche, in diesem Falle der zweitmächtigste Mann der Welt, sich als den Dingen in seinen Darstellungen nicht gewachsen zeigt. Ich bitte ihn dann darum, dass wir noch ein persönliches Gespräch führen. Es wird von Walentin Falin[1], mit dem ich bereits befreundet war, vermittelt, und Gorbatschow erklärt mir, die DDR sei weiterhin der wichtigste Verbündete der Sowjetunion. Aus diesem Gespräch entnehme ich, dass er am 7. Dezember 1989 auf einem Plenum des ZK der KPdSU diesen Gedanken auch wiedergibt, damit es nicht eine 4-Augen Absprache oder Begegnung und Modrow bleibt; Egon Krenz nahm ja noch daran teil – er war schon nicht mehr Generalsekretär der Partei, aber immerhin noch der Vorsitzende des Staatsrats für die nächsten 48 Stunden.

Am 26. Januar 1990 findet dann die erste Beratung statt, die Gorbatschow durchführt – darüber gibt es Quellen; das gibt er in seinen eigenen Erinnerungen, die er schon in den 90er Jahren geschrieben hat, wieder. Die deutsche Frage wird diskutiert im Kreis von Schewardnadse[2], von Ryschkow[3], von Falin, als Berater bei Falin ist Fjodorow, und auch Krjutschkow[4], der Chef des KGB. Gorbatschow hat auch weitere Berater. Dort wird zum ersten Mal die Frage des Abzugs der Truppen besprochen. Achromejew[5], der auch teilnimmt, bekommt den Auftrag, in dieser Richtung zu handeln. Das heißt, die Vereinigung in ihrer Art und Form wird erst vier Tage bevor die Begegnung zwischen Modrow und Gorbatschow in Moskau stattgefunden hat, beraten. In dieser Beratung, die am 30. Januar stattfindet, ist die sowjetische Seite wiederum vertreten durch die drei höchsten in staatlichen Ämtern: Gorbatschow, Ryschkow, Schewardnadse. Auf der anderen Seite ist auch Falin dabei. Bei diesem Gespräch unterbreite ich einen Dreistufen-Plan für die Vereinigung Deutschlands mit meiner Vertragsgemeinschaft, die ich bereits in der Regierungserklärung am 17. November 1989 unterbreitet habe, gehe aber den nächsten Schritt weiter, für den auch Falin sich schon im November ’89 – im Gegensatz zu dem, was Egon Krenz in seinen Erinnerungen hat – in der Beratung und in dem Gespräch in der sowjetischen Botschaft – an dem Gespräch nimmt auch Kotschemassow[6] Teil – zu einer Konföderation in seiner Nachdenklichkeit bekennt, und dann erst eine Vereinigung im Rahmen eines Bundes.

Zugleich ist mein Dreistufenplan damit verbunden, dass ein vereintes Deutschland militärisch neutral bleibt. Das führt, nachdem ich am 1. Februar eine internationale Pressekonferenz durchführe und dort diesen Dreistufenplan als in Übereinstimmung mit der sowjetischen Seite darlege, dazu, dass in den USA eine sehr schnelle Reaktion entsteht. Am 8. und 9. Februar ist James Baker in Moskau und verhandelt mit Gorbatschow und Schewardnadse. Man war sich einig: die Vereinigung Deutschlands ist jetzt das wichtigste politische Geschehen. Man muss die vier Siegermächte in Übereinstimmung bringen. Aber es wird ein Deutschland im Rahmen der NATO sein. Und am 10. Februar ist Helmut Kohl in Moskau, und es wird dort bereits darüber gesprochen: die Vereinigung Deutschlands ist das historische Ereignis, das es gilt, vorzubereiten. Nun kann man sagen, Kohl habe Gorbatschow bestochen oder „gekauft“. Das alles scheint mir zweitrangig. Tatsache ist, es war zu diesem Zeitpunkt sehr spürbar, dass die Sowjetunion sehr wohl mit ihren eigenen außenpolitischen Beziehungen in einer Schuldsituation und nicht mehr so recht kreditfähig war, und Kohl verspricht die Möglichkeit von Kredit. Kohl teilt auch mit, dass es die Bereitschaft gibt, über 100.000 tonnen Fleisch zu liefern, damit auch Gorbatschow eine bestimmte Stabilität an der Spitze der Sowjetunion behält. Das ist eigentlich historisch verbürgt und nachzulesen. Aus all diesen Zusammenhängen entsteht dann in Ottawa der erste Schritt in Richtung eines 2+4 Vertrages, und diese 2+4 Verhandlungen werden von sowjetischer Seite mit großer Instabilität geführt, und es entsteht ein Abkommen, dass einem Friedensvertrag, der ja notwendig gewesen wäre, nicht gerecht wird.

All diese Ereignisse setzen sich dann erneut weiter fort mit der Begegnung mit Helmut Kohl zur deutschen Vereinigung im Sommer 1990 im Kaukasus mit vorherigen Absprachen in Moskau. Und die DDR ist nicht dabei! Dieses Thema hat seine doppelte Situation in diesem Vereinigungsprozess, und daraus entstehen auch Probleme, die jetzt auf der Tagesordnung sind. Spricht man vom jetzigen Spiel, dann soll man die tieferen Wurzeln beachten. Nach 1990 ging es darum, dass ein größeres Deutschland entsteht. Nicht so groß, wie die Bundesrepublik es bis zum 2+4-Vertrag noch angestrebt hat. Die Grenze gegenüber Polen wird nun endgültig völkerrechtlich gesetzt, aber Deutschland ist als vereintes größer, als es als geteiltes Deutschland in sich war. Von dort aus beginnt nun eigentlich eine Phase – und das ist das Problem, das offensichtlich von Gorbatschow nicht beachtet und analysiert ist. Wir sind an dem Punkt, wo aus dem größeren Deutschland etwa seit 2015 – das sind die klaren Ansagen – das Großdeutschland entwickelt wird. Das Großdeutschland als stärkste militärische Macht in Europa und als die wirtschaftlich führende Kraft. Auf dieser Grundlage gilt das „neue Spiel“. Es heißt „Deutschland muss Verantwortung übernehmen“. Aber dieses Spiel ist sozusagen nicht in den Balancen, um die es geht, und Russland muss dafür der Feind sein, denn deutsche Panzer stehen wieder, nun im Rahmen der NATO, an den Grenzen zu Russland. Eine Klammer ist gewissermaßen um Russland gespannt.

Ich habe 2004 zu diesem Thema im Generalstab der NATO ein Gespräch als Mitglied des Europäischen Parlamentes mit einem deutschen Generalleutnant gehabt. Als ich ihm die Frage gestellt habe „Schauen wir uns mal die Situation an. Sie sind heute absolut darauf orientiert, gegen Russland die NATO aufzubauen.“ Seine Antwort war zunächst: „Nein, Sie übersehen, dass doch der Herr Rogosin als Vertreter Russlands im Europäischen Rat mit wirksam ist.“ Rogosin kannte ich und wusste sehr wohl, dass das ein gebliebener großer Funktionär aus dem ZK des Komsomol war, aber keiner, der sozusagen hier in der NATO ein Gewicht besaß. Daher meine Frage: „Herr Generalleutnant, jetzt stellen wir uns mal an eine Generalstabskarte und ich zeige Ihnen, wie Russland durch die NATO mit einer militärischen Strategie jetzt umgeben ist.“ Worauf er dann meinte: “ Wenn Sie es so sehen, ja – die Chinesische Mauer steht.“ Welches Spiel will Gorbatschow jetzt in Gang bringen, der ja in der internationalen Politik keine Beachtung hat, wo es sichtbar wird. Ich habe das jetzt in einer Rede – man nennt sie „30 Jahre nach dem Beitritt und der Volkskammer der DDR“ – zum Ausdruck gebracht. Gorbatschow hat sich noch im September 1991 an Kohl gewandt, um zu verhindern, dass eine Verfolgung führender Funktionäre der SED und des Staates der DDR durch die Justiz der Bundesrepublik geschieht. 1996 schreibt Kohl dazu in seinen Erinnerungen, diesen Brief, den ich damals von Gorbatschow erhielt und nicht beantwortet habe, den muss der KGB geschrieben haben. Oder Gorbatschow war so schwach, dass er irgendetwas brauchte, um die Zustimmung für die Ratifizierung des Vertrages zu bekommen. Das ist das Geschehen des Jahres 1990. Und 1991, erst im März, wird als letztes Land, im Obersten Sowjet der UDSSR der 2+4 Vertrag ratifiziert, damit er gültig werden kann. Das alles gehört zu den Wurzeln, über die man nachdenken muss, wenn wir vom „neuen Spiel“ sprechen.


[1] Walentin Falin, sowjetischer Diplomat, war seit 1988 Leiter der Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU

[2] Eduard Schewardnadse war von 1985 bis 1990 sowie Ende 1991 Außenminister der Sowjetunion.

[3] Nikolai Ryschkow, Vorsitzender des Ministerrats von 1985 bis 1991 und damit Regierungschef der Sowjetunion

[4] Wladimir Krjutschkow war 1988 bis 1991 Vorsitzender des sowjetischen Geheimdienstes KGB.

[5] Sergei Achromejew war Marschall der Sowjetunion.

[6] Wjatscheslaw Kotschemassow war ein sowjetischer Diplomat und von 1983 bis 1990 Botschafter in der DDR.

Dies ist der erste eines in mehreren Teilen erscheinenden Interviews

Kommentar: US-Weltraum-Verteidigungsstrategie erklärt China und Russland zu „Gegnern“

General John Raymond, Präsident Donald Trump, Vizepräsident Mike Pence, Verteidigungsminister Mark Esper und Seargant Roger Towberman als Fahnenträger stellten am 29. August 2019 das Banner des US-Space Command vor. Foto: Lisa Ferdinando / US-Verteidigungsministerium

Vor rund einem Jahr, am 18 Juni 2019, unterschrieb US-Präsident Donald Trump eine Exekutivanweisung zur Schaffung der US-Space Force, der Weltraum-Streitkräfte. Das Time Magazine bemerkte dazu einen Tag später, dass es bereits eine von einem Präsidenten autorisierte Space Force gibt, nämlich die von Ronald Reagan am 1. September 1982 aktivierte Air Force Space Command. Diese sei eine Division der Luftwaffe und mit mehr als 36.000 Soldaten an 134 Standorten weltweit eine ziemlich große Organisation. Die Arbeit dieses Weltraumkommandos umfasst Erdbeobachtung, Wettervorhersage, Kommunikation, Befehl und Kontrolle über bodengestützten Waffen und Satellitensicherheit – mit einem jährlichen Budget von 8,5 Milliarden Dollar für die Anschaffung und Entwicklung neuer Systeme. Der Time-Autor Jeffrey Kluger stellte dann die offensichtliche Frage: „Was würde man also davon haben, wenn man es in eine Space Force ausgliedern würden, die eine völlig separate Kommandostruktur, einen Stabschef und Bürokratie erfordern würde, was ihr Budget exponentiell erhöhen würde? Die Antwort lautet: nicht viel.“ Bekommt das US-Militär eventuell einfach nur einen weiteren Verwaltungsapparat? Oder geht es jetzt tatsächlich in Richtung ‚Krieg der Sterne‘?

Weltraumbewaffnung gegen UN-Vertrag

Die militärische Raumfahrttechnologie, so Kluger weiter, sei nicht annähernd so weit fortgeschritten wie die Luftfahrt. Es gäbe keine Hardware, „damit Solopiloten heroische Luftkämpfe in einer niedrigen Erdumlaufbahn fliegen können.“ Reagan habe mit der Strategic Defense Initiative (SDI) von 1983 bis 1993 über 30 Milliarden Dollar ausgegeben, aber keine wirklichen Durchbrüche in der Anwendung von Röntgenlasern, subatomaren Teilchenstrahlen und elektromagnetischen Railguns zu verzeichnen gehabt. Das ist die eine Sache. Viel gewichtiger als das technische Argument ist aber die Tatsache, dass die Bewaffnung des Weltraums gegen den Geist eines Vertrags der Vereinten Nationen, genauer gesagt des Office of Outer Space Affairs (UNOOSA) in Wien, verstößt. Es gibt nämlich einen am 19. Dezember 1966 von der UN-Vollversammlung verabschiedeten Vertrag, eine Art  „Weltraum-Grundgesetz“. Dieses legt fest, dass der Weltraum nicht nationalen Interessen, sondern den Interessen der gesamten Menschheit dienen solle, dass jede Nation, unabhängig von seinem Entwicklungsgrad, Zugang zum Weltraum erhalten muss, und dass keinerlei Atomwaffen oder andere Massenvernichtungswaffen in der Erdumlaufbahn oder auf anderen Himmelskörpern stationiert werden dürfen. Mit der Schaffung einer Weltraumstreitmacht könnte zumindest eine schiefe Bahn betreten werden, die letztlich auch zur atomaren Bewaffnung des Weltraums führen könnte – eine erschreckende Vorstellung, die man sonst nur aus Science Fiction Romanen kennt.

Rhetorik gegen China und Russland

Der oberste Offizier in der neu gegründeten Kommandostruktur dieses sechsten Zweiges des amerikanischen Streitkräfte, der Chef des sogenannten Space Command, General John Raymond, erklärte bereits den Weltraum zu einer „Domäne des Kriegs“, so wie Land, Luft, See und Cyberspace auch. Der Gegner sei, wie nicht anders zu erwarten, Russland und China. Nahezu unbeachtet von der deutschen Presse, veröffentlichte das amerikanische Verteidigungsministerium nun am 17. Juni dieses Jahres eine neue „Weltraumstrategie“, in der es von Kriegsrhetorik nur so wimmelt. In einer dazu veröffentlichten Pressemitteilung des Pentagon heißt es, man wolle „Stärke im Weltraum“ demonstrieren. Das Ziel sei, „in einem komplexen Sicherheitsumfeld, das durch einen Wettbewerb der Großmächte gekennzeichnet ist, konkurrieren, abschrecken und gewinnen zu können.“ US-Verteidigungsminister Mark Esper erklärte: „Die Weltraum-Militärstrategie ist der nächste Schritt, um die Überlegenheit im Weltraum sicherzustellen und die Kerninteressen unseres Landes im Weltraum jetzt und in Zukunft zu sichern.“ Amerikas „Gegner“ hätten „den Weltraum jedoch zu einem Kriegsschauplatz gemacht, und wir müssen umfassende Änderungen der Politik, der Strategien, der Operationen, der Investitionen, der Fähigkeiten und des Fachwissens für dieses neue strategische Umfeld umsetzen.“ Der öffentlich gemachte Teil dieser Defense Space Strategy spricht unmissverständlich davon, dass China und Russland „die größte strategische Bedrohung“ darstellten. Deshalb unternehme das US-Verteidigungsministerium „die wichtigste historische Transformation in der Geschichte des US-Weltraumprogramms zur Nationalen Sicherheit.“

Experte Kozin: US will Weltraummonopol

Wladimir Kozin, ein assoziiertes Mitglied der Russischen Akademie der Militärwissenschaften, kommentierte diese Entwicklung am 23. Juni folgendermaßen: „Obwohl der Weltraum nach internationalem Recht der gesamten Menschheit gehört und ausschließlich für friedliche Zwecke genutzt werden sollte, ist es merkwürdig, dass die fraglichen Dokumente Aussagen enthalten wie: ‚Mehr als jede andere Nation sind die Vereinigten Staaten auf weltraumgestützte Fähigkeiten angewiesen, um Macht im globalen Maßstab zu projizieren und einzusetzen‘. Washingtons Anspruch auf ein Weltraummonopol ist für alle erkennbar, selbst wenn es die Interessen seiner NATO-Verbündeten ignoriert, obwohl es erklärtermaßen bereit ist, in diesem Bereich mit ihnen zu interagieren.“ Und weiter: „Die Aussage der amerikanischen Weltraumstrategie, dass Moskau und Peking eine Art Militärdoktrin haben, die die Anwendung von militärischer Gewalt im Weltraum beinhaltet, ist eine Verzerrung der Realität. Es gibt dort keine diesbezüglichen Bestimmungen. Im Gegenteil, die Russische Föderation und die Volksrepublik China sind seit langem Mitbefürworter eines internationalen Vertragsentwurfs zur Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum, vor dem die Vereinigten Staaten nicht nur zurückschrecken, sondern der auch alle möglichen künstlichen Hindernisse für seine Annahme schafft.“

US beginnt Weltraum-Wettrüsten

Das russische Außenministerium gab am 19. Juni eine Erklärung ab, in der es die Bereitschaft Moskaus zum Ausdruck brachte, Probleme der Aktivitäten im Weltraum im Rahmen des bestehenden russisch-amerikanischen Dialogabkommens zu erörtern. „Wir sehen die Möglichkeit, die gegenseitigen Bedenken im Rahmen eines umfassenden sinnvollen russisch-amerikanischen Dialogs über ein breites Spektrum von Fragen der Sicherheit von Weltraumaktivitäten auszuräumen. Eine Vereinbarung zur Organisation eines solchen Dialogs wurde am 16. Januar getroffen“, sagte das Ministerium laut Nachrichtenagentur TASS. Das Ministerium erklärte jedoch auch, dass die neue US-Weltraumstrategie „den aggressiven Kurs Washingtons im Weltraumsektor offenbart. […] Um diesen destruktiven Kurs zu rechtfertigen, der ein Wettrüsten im Weltraum anstachelt und die Situation im Bereich der internationalen Sicherheit destabilisiert, benutzt Washington seine Routinetaktik, andere zu beschuldigen. Unsere amerikanischen Partner sprechen über die angebliche strategische Bedrohung durch Russland und China im Weltraum und machen sich nie die Mühe, irgendwelche Beweise zu liefern.

Waffen im Weltraum inakzeptabel

Dieses Thema wurde auch von einer russisch-französischen parlamentarischen Kommission unter dem Vorsitz von Senator Konstantin Kosachev für die Russen und Senator Christian Cambon, der den Vorsitz der französischen Senatskommission führt, erörtert. „Die Frage der Militarisierung des Weltraums ist äußerst wichtig. Wenn wir unsere Anstrengungen jetzt nicht bündeln, könnte irgendwann ein Wettrüsten im Weltraum ausbrechen, das schwer zu stoppen wäre […]“, sagte Kosatschew. Er deutete zudem an, dass sowohl Großbritannien als auch Frankreich der Führung der USA bei der Militarisierung des Weltraums folgten. „Ich sage nicht, dass Sie irgendeine Art von Waffen im Weltraum platzieren, aber auf jeden Fall gibt es keine Bereitschaft, rechtsverbindliche Dokumente über die Verhinderung der Militarisierung des Weltraums auf der Ebene des UN-Sicherheitsrates und der UN-Generalversammlung zu diskutieren, wie es sowohl von Russland als auch von China ständig vorgeschlagen wird. Senator Cambon betonte, dass Frankreich in der Frage der Entmilitarisierung des Weltraums immer auf der Seite Russlands sein würde. Es sei „völlig inakzeptabel, militärische Waffen im Weltraum zu platzieren.“

Trotz der reißerischen Rhetorik des Pentagon-Strategiepapiers und des zuständigen Staatssekretärs Stephen Kitay, der gerne Schreckensszenarien über die Zerstörung des amerikanischen Kommunikationssystems durch gegnerische Weltraumwaffen heraufbeschwört, zweifeln einige Kommentatoren die Effektivität der neuen Struktur an. Das US-Space Command ist mittlerweile die 11. Kommandostruktur, bestehend aus weniger als 300 Personen, die überwiegend aus dem Strategic Command ausgelagert worden sind. Die Tatsache, dass man sich stärker mit Geheimdiensten vernetzen und die Integration von alliierten Partnern weltweit vorantreiben will, wird der Übersichtlichkeit ebenfalls kaum zuträglich sein. Mit einem nahezu winzigen Budget von 83,8 Millionen USD, wovon 75,6 Millionen von StratCom übernommen werden, soll die Kooperation mit Five-Eyes Partnern, Frankreich, Deutschland und Japan für gemeinsame Übungen und Kriegsspiele finanziert werden – nicht gerade eine überquellende Kriegskasse.

Kommentar: US-„Falken“ gegen Trumps Truppenabzug wegen „russischer Aggression“

Luftwaffenstützpunkt Ramstein, Deutschland, am 17. September 2019. Foto von Patrick Evens / U.S. Air National Guard

Am 15. Juni bestätigte US-Präsident Donald Trump öffentlich, was bis vor kurzem lediglich ein Gerücht gewesen ist: die USA ziehen etwa 9,500 ihrer 34,500 Soldaten aus Deutschland ab. Trump sagte dies am Montag bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus. Damit hat Trump den NATO-Verteidigungsministern, die vom 16. – 18. Juni 2020 zu einer Videokonferenz zusammenkommen, neuen Gesprächsstoff geliefert. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, es gäbe „keinen Beschluss darüber, wie und wann diese Entscheidung umgesetzt wird.“ Auch die Amerikanische NATO-Botschafterin Hutchison kannte „keinen Zeitplan“. Der deutsche Außenminister Maas wirkte nicht weniger überrascht, als er bekannt gab, er verfüge über „keine genaueren oder detaillierten Informationen darüber, wann wie wo was umgesetzt werden soll.“  Trump hat sich wiederholt darüber geärgert, dass die NATO-Mitglieder im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachgekommen sind. Nun sprach er deutliche Worte gegenüber den anwesenden Journalisten: „Deutschlands ist seit Jahren mit den Zahlungen im Rückstand und sie schulden NATO Milliarden von Dollar. Sie müssen zahlen. Wir schützen Deutschland und sie zahlen nicht. Das macht keinen Sinn.“ In einem Radiointerview räumte der Koordinator für transatlantische Zusammenarbeit der Bundesregierung, Peter Beyer, Spannungen im Verhältnis mit Washington ein. Die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland seien derzeit nicht die besten, so Beyer, der vermutet, das Ganze sei „gezielt über einen Artikel im Wall Street Journal geleakt“ worden. Ursprünglich hatte nämlich ein Artikel im Wall Street Journal vom 5. Juni die Debatte ausgelöst. Selbst Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte zu der Zeit auf mehrmalige Anfrage, dass man in Berlin keine Bestätigung für diesen Sachverhalt erhalten habe.

Fördert „russische Aggression“

In Deutschland, NATO-Mitglied seit 1955, befinden sich mehr als die Hälfte aller in Europa stationierten US-Soldaten. Der beabsichtigte Truppenabzug kommt nun als Reaktion auf wiederholte Streitigkeiten mit Deutschland über seine Verteidigungsausgaben und folgt auf die jüngste Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, nicht zu einem Treffen der G7 Gruppe in die Vereinigten Staaten zu reisen. In Warschau hofft man derweil, dass zumindest ein Teil der 9.500 US-Soldaten nach Polen verlegt wird. Der polnische Präsident Andrzej Duda sagte nach Angaben der polnischen Presseagentur PAP vor wenigen Tagen: „Die U.S.-Armee ist in Polen willkommen. Dies ist die größte und stärkste Armee der Welt.“ Für Duda sei die U.S.-Armee eine Sicherheitsgarantie gegen die angebliche „russische Bedrohung“. In Washington war bereits die Ankündigung des Abzugsplans bei republikanischen Mitgliedern des Armeeausschusses des Repräsentantenhauses auf heftigen Widerstand gestoßen. „Solche Schritte würden der nationalen Sicherheit der USA erheblich schaden und die Position Russlands zu unserem Nachteil stärken“, schrieb eine Gruppe von 22 republikanischen Abgeordneten in einem Brief an das Weiße Haus, berichtete die Military Times. „In Europa haben die von Russland ausgehenden Bedrohungen nicht abgenommen, und wir glauben, dass Anzeichen eines geschwächten Engagements der USA in der NATO die russische Aggression und den russischen Opportunismus weiter fördern werden,“ hieß es darin wortwörtlich.

Die Sprecherin des Außenministeriums der Russischen Föderation, Maria Sacharowa, begrüßte bei ihrem wöchentlichen Briefing am 11. Juni jedoch die Aussicht auf eine Verringerung der Zahl der US-Truppen in Deutschland. „Von unserer Seite würden wir jeden Schritt Washingtons begrüßen, seine militärische Präsenz in Europa wirklich zu reduzieren. Solche Schritte würden zweifellos dazu beitragen, das Konfrontationspotential und die militärisch-politischen Spannungen in der euro-atlantischen Region zu verringern“, sagte sie. Sie merkte jedoch an, dass auf Ankündigungen aus Washington über Truppenabzüge nicht immer Taten folgen. Sacharowa warnte auch davor, dass die Verlegung der Truppen von Deutschland nach Polen die Beziehungen zwischen der NATO und Russland weiter komplizieren würde.

Kostet Blut und Geld

Die Amerikanische Pro-NATO-Fraktion hat sich von der geopolitischen Sicht auch nach der Auflösung der Sowjetunion nicht wirklich getrennt. In ihrer Weltsicht dient auch das wiedervereinigte Deutschland als Frontlinie. Deutschland beherbergt auch wichtige Militärkrankenhäuser und Ausbildungseinrichtungen, die andere militärische Aktivitäten der Vereinigten Staaten weltweit ermöglichen. Die dringendste militärische Aufgabe der NATO sehen diese Kreise in der „Verteidigung ihrer Ostflanke“, insbesondere der baltischen Staaten, hieß es beispielsweise jüngst in einem Meinungsartikel in der Washington Post. In ihrer Lesart der strategischen Lage unterstellen sie Russland aggressive Absichten, im Baltikum „Territorium zu erobern, bevor das [NATO-]Bündnis eintreffen und es verteidigen kann.“ Es klingt wie aus einem Drehbuch aus dem Kalten Krieg, wenn es in dem Artikel weiter heißt: „Je nachdem, wohin die Truppen entsandt werden, könnte der Rückzug in Deutschland die Verteidigungsbereitschaft der NATO verringern, wodurch die Bedingungen für einen russischen Vorstoß günstiger würden – er hilft aber auch der nationalen Strategie Russlands, den Zusammenhalt der NATO zu untergraben. Wenn der russische Präsident Wladimir Putin versucht, sich Land anzueignen, und die Vereinigten Staaten später in einen Konflikt oder eine Krise hineingezogen werden, werden die Kosten der Vereinigten Staaten – sowohl in Form von Blut als auch in Form von Finanzmitteln – weit höher sein als der Preis dafür, dass die NATO einen solchen Konflikt verhindern kann.“ Die Autorin ist Mira Rapp-Hooper vom Council on Foreign Relations, einer der einflussreichsten Denkfabriken für die US-Außenpolitik.

Die Kluft zwischen Präsident Trump und der Fraktion der „Kriegsfalken“ ist sinnbildlich für die seit langem bestehenden Spannungen zwischen beiden Seiten. Trump beklagte sich mit kürzlich in einem Interview mit wachsender Frustration darüber, dass „der militärisch-industrielle Komplex unglaublich mächtig ist“. Er wies auch die Idee zurück, dass sich Amerika weiterhin im Nahen Osten engagieren sollte: „Warum sollten wir unsere Leute die Grenze zwischen der Türkei und Syrien bewachen lassen? Uns ist scheißegal, was da passiert. Es ist ihre Sache.“ Es war auch nicht die Pentagon-Führung, die diese Pläne mit Trump besprochen hatte, sondern der nationale Sicherheitsberater Robert O’Brien. Trump schien, wie es seine Neigung ist, wieder einmal die formelle Befehlskette zu ignorieren. Gemäßigtere Beaobachter äußern sich dahingehend, dass ein breiterer Truppenabzug, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Afghanistan, Trump ermöglichen würde, sein ursprüngliches Wahlversprechen einzulösen, dass es Zeit für Amerika sei, „nach Hause zu kommen“.

Kommentar: Susan Rices absurdes Theater! Russland hat nichts mit US-Protesten zu tun

Susan Rice am 22. September 2014 bei einer Diskussion in der Brookings Institution. ©Paul Morigi Photography

„Russland stellt die Vereinigten Staaten und ihre westlichen Verbündeten heute vor eine größere außen- und sicherheitspolitische Herausforderung als je zuvor seit Mitte der 1980er Jahre […].“ So jedenfalls beginnt eine vom einflussreichsten US-Amerikanischen Think Tank, der Brookings Institution, erstellte Studie[1] aus dem Jahr 2016. Die Haltung der Anglo-Amerikanischen Elite gegenüber Russland ist mittlerweile von solch einer tiefsitzenden ideologischen Gegnerschaft geprägt, dass die für rationale Analysen und Handlungsempfehlungen notwendigen Besonnenheit meist keine Rolle mehr spielt. Die laufende Maschine, die ständig unbelegte Verdächtigungen, haltlose Vorwürfen und Drohgebärden gegenüber Russland produziert, muss stets gut geölt am Laufen gehalten werden, wobei das Barometer der Absurdität mit jeder Umdrehung auf neue Höhen klettert.

Der jüngste Fall kommt von der mit Brookings engstens verbundenen einstigen Sicherheitsberaterin Präsident Barack Obamas, Susan Rice, die Russland auch noch für die Massenproteste in den USA, die nach der Tötung von George Floyd durch einen Polizisten in der US-Metropole Minneapolis begannen, verantwortlich machte. „Ich würde wetten“, sagte Rice am 31. Mai 2020 gegenüber CNN-Moderator Wolf Blitzer, „dass das direkt aus einem russischen Drehbuch stammt“. Sie beschuldigte Moskau, die USA von innen heraus „auflösen“ zu wollen. „Ich wäre nicht überrascht zu erfahren, dass sie es auf irgendeine Weise finanzieren“, fügte sie hinzu. Blitzer, anstatt Belege für Rices aus der Luft gegriffene Behauptung zu verlangen, stimmte euphorisch zu: „Sie haben mit der ausländischen Einmischung absolut Recht“, sagte Blitzer, „denn wir wissen, für Jahrzehnte haben die Russen, als es noch die Sowjetunion war, die Kommunisten, oft versucht, die Vereinigten Staaten in Verlegenheit zu bringen, indem sie die Rassenkonflikte in unserem Land anheizten.“

Wirkung vefehlt

Der renommierte ehemaliger Waffeninspektor der Vereinten Nationen, Scott Ritter, traf mit seiner Erwiderung auf diese Vorwürfe von Rice den Nagel auf den Kopf, als er schrieb: „Das Spiel der Schuldzuweisungen gegenüber Russland mag in den Medien gut ankommen, die lange schon vor einem politischen Establishment kapituliert haben, das verzweifelt Macht und Einfluss behalten will, koste es, was es wolle. Aber bei der Masse von Amerikanern, die frustriert sind über den inhärenten Rassismus der amerikanischen Sicherheitskräfte, wird diese Art von vereinfachender Ablenkung nichts bewirken.“ Russlands Botschafter in den Vereinigten Staaten, Anatolij Antonow, bezog beim russischen Fernsehsender Rossija-1 ebenfalls dazu Stellung: „Das ist völliger falsch. Alles, was in den Vereinigten Staaten geschieht, ist das Ergebnis der Innenpolitik der USA bezüglich seiner interethnischen und interrassischen Beziehungen. Es ist ein explosives Aufbrechen der seit langem schwelenden Widersprüche.“ Antonow betonte, die russischen Diplomaten seien „sehr besorgt über die Lage im Gastland“, und sie wünschten sich, „dass die Ordnung und die verfassungsmäßigen Rechte der US-Bürger so schnell wie möglich wiederhergestellt werden. Dies würde uns wieder eine normale Zusammenarbeit ermöglichen“.

Susan Rice wurde übrigens im Juni 2013 Obamas Nationale Sicherheitsberaterin und drehte die anti-russische Rhetorik, im Tandem mit UN-Botschafterin Samantha Powers, mächtig auf. Als etwa zur selben Zeit die Enthüllungen Edward Snowdens über die Methoden der Totalausspähung durch die National Security Agency (NSA) an die Weltöffentlichkeit drangen, hätte dies eigentlich für eine Katharsis und potenzielle Richtungsänderung in der Weltpolitik sorgen müssen. Stattdessen wurde Obama bekannt für seine Wutausbrüche gegenüber Russland, da es der geforderten Auslieferung Snowdens aus seinem unfreiwilligen russischen Asyl an die USA nicht nachkam. Deutschland richtete damals zwar einen NSA-Untersuchungsausschuss ein, da auch das Handy der Kanzlerin Merkel abgehört worden war, doch Konsequenzen hatte dies nicht. Im Gegenteil, arbeitete der BND, wie gerade erst kürzlich bekannt wurde, munter mit dem CIA beim Abhören von mehr als 120 anderen Staaten eifrig zusammen. Auch jene Aufdeckung des sogenannten Schweizer „Crypto-Skandals“ hat die anti-russische Tendenz in den westlichen Medien und Institutionen wenig beeinflusst.

Welche russischen Hacker?

Ganz im Gegenteil: beim Ausmalen abstruser Abhör- und Spionagemärchen, die in Zusammenhang mit Moskau gebracht werden, haben hochrangige Beamte und Regierungsmitglieder im Westen eine besonders blühende Phantasie entwickelt. Die Vorwürfe aus dem Jahr 2018 der damaligen britischen Premierministerin Theresa May und ihres Außenministers Boris Johnson, Präsident Putins Geheimagenten hätten den früheren russischen Spion und britischen Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter vergiftet, gehören ebenfalls in diese Kategorie. Merkel, die EU und andere hatte diese groteske Geschichte innerhalb kürzester Zeit ungeprüft übernommen,  da man angeblich „zu keinem anderen Schluss“ habe kommen können. Sogleich wurden auf Geheiß der Briten scharfe Strafmaßnahmen gegen Russland verhängt. Als der Wissenschaftler Gary Aitkenhead vom britischen Chemiewaffen-Forschungszentrum Porton Down am 3. April bekannt gab, sein Untersuchungsteam könne nicht nachweisen, woher das gegen die Skripals eingesetzten Nervengas Nowitschok kam, beschwerte sich die Zeitung The Guardian, durch diesen Bericht werde die britische Regierung „in die Defensive gedrängt“.

Ebenfalls bis heute behaupten FBI, CIA und NSA, dass die am 26. Juli 2016 von der Plattform WikiLeaks veröffentlichten E-Mails aus der Parteizentrale der US-Demokraten (DNC) durch den erfundenen russischen Hacker „Guccifer 2.0“ beschafft worden seien. Für diesen Vorgang wurden bis heute keine kriminaltechnischen Belege vorgelegt. Tatsächlich widersprechen die verfügbaren forensischen Beweise der offiziellen Darstellung, die für die Veröffentlichung der E-Mails des DNC ein russisches Eindringen über das Internet verantwortlich macht. Eine mit großem Aufwand betriebene alternative Beweisführung durch den ehemaligen Technischen Direktor der NSA, William Binney, und durch Larry Johnson, einem ehemaligen Experten des US-Außenministeriums und der CIA für Terrorismusbekämpfung, erschien am 13. Februar 2019[2]. Diese stützt vielmehr die Erklärung, dass die Dateien, die dem DNC zwischen dem 23. und 25. Mai 2016 entwendet wurden, auf ein Dateispeichergerät, wie z.B. einen USB-Stick, kopiert wurden. Damit wurde auch der nach wie vor hartnäckig zirkulierenden Behauptung, Russland habe 2016 in die Amerikanischen Präsidentschaftswahlen beeinflusst, jegliche Grundlage entzogen. Wie die nun von Susan Rice hingeworfenen unsinnigen Anschuldigungen zeigen, will das Establishment im Westen einfach nicht das Handtuch werfen in Bezug auf die Ankurbelung eines neuen Kalten Kriegs und der weiteren Dämonisierung Russlands, in dem Bestreben, den „Gegner“ zu isolieren und zu dämonisieren. Für den langjährigen Russland-Experten mit Alexander Rahr bewegen sich die USA nun endgültig in die Richtung einer Dystopie nach dem Muster von George Orwells „1984“, wobei Susan Rice mit ihren Aussagen dieser Entwicklung wieder einmal prominent Vorschub leistet.


[1] Fiona Hill: Understanding and deterring Russia: U.S. policies and strategies. https://www.brookings.edu/testimonies/understanding-and-deterring-russia-u-s-policies-and-strategies/

[2] William Binney, Larry Johnson: Why the DNC was not hacked by the Russians.

https://turcopolier.typepad.com/sic_semper_tyrannis/2019/02/why-the-dnc-was-not-hacked-by-the-russians.html

Kommentar: USA wollen Open-Skies-Vertrag beenden – seltsame Widersprüche

Senator Tom Cotton (links) neben dem 2019 gefeuerten Nationalen Sicherheitsberater John Bolton, bei der Conservative Political Action Conference (CPAC) 2015 in Maryland. Bild von Gage Skidmore, Flickr.

Der am 21. Mai angekündigte Ausstieg der Trump-Administration aus dem Open-Skies-Vertrag kam für Beobachter der Lage nicht völlig überraschend. Der US-Präsident gab damit dem Druck politischer Hardliner nach, die die Beendigung dieses Rüstungskontrollabkommens schon seit geraumer Zeit fordern. Zudem ist dies ein weiterer absehbarer Schritt in Richtung geopolitische Konfrontation mit der Russischen Föderation gewesen, der sich nahtlos in die bisherige Chronologie einfügt: von der Kündigung des Vertrags über die Begrenzung von antiballistischen Raketenabwehrsystemen (ABM-Vertrag) im Jahr 2002 unter George W. Bush, über die Beendigung des Nuklearabkommens mit dem Iran (JCPOA), bis zum Ausstieg aus dem Mittelstrecken-Nuklearstreitkräfte-Vertrags (INF-Vertrag) im August 2019. Der von 34 Staaten ratifizierte und 2002 in Kraft getretene Vertrag über den offenen Himmel, der Open-Skies-Treaty (OST), erlaubt den teilnehmenden Staaten Beobachtungsflüge über dem Territorium der Vertragspartner und stellte somit ein vertrauensbildendes Instrument dar. Auch der Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen (New-START-Vertrag) wird Anfang 2021 auslaufen, sollte es dazu keine neuen Verhandlungen zwischen den USA und Russland geben. Russlands stellvertretender Außenminister Sergej Rjabkov nannte den Ausstieg aus dem OST „eine weitere Etappe der Demontage der internationalen Sicherheit“. Die NATO, wenngleich sie angeblich am Vertrag festhalten will, hatte bereits seit ihrem Gipfeltreffen in Wales 2014 Russland regelmäßig mit Vorwürfen über angebliche Vertragsverletzungen unter Druck gesetzt und damit die unilaterale Aufkündigung seitens der USA implizit ermutigt.

Grenell gegen Maas

Bei einem Briefing des US-Außenministeriums behauptete Christopher Ford, stellvertretender Staatssekretär für internationale Sicherheit und Nichtverbreitung, dass „Russland eindeutig nicht mehr in der Weise zur kooperativen Sicherheit verpflichtet ist, wie man es sich erhofft hatte“. Speziell in Bezug auf den OST behauptete Ford, dass „Russland es von Anfang an versäumt hat, Luftraum- und Flugplatzinformationen ordnungsgemäß zur Verfügung zu stellen, was mit den Vertragsverpflichtungen unvereinbar ist“. Die US-Regierung behauptete sogar, dass Russland OST-Bilder benutzt, um mit präzisionsgelenkten Raketen Angriffe auf zivile Infrastruktur zu planen. Auf Druck weigerte sich Ford jedoch, Beweise dafür vorzulegen. In Rjabkovs Replik darauf hieß es: „Ihre Anschuldigungen gegen Russland, den Vertrag nicht eingehalten zu haben, dienten als Vorwand, das Dokument zu kündigen. Zumal niemand in Washington jemals Fakten zur Untermauerung ihrer Behauptungen vorgelegt hat.“ Der deutsche Außenminister Heiko Maas forderte indessen die USA auf, ihren Rückzug zu überdenken. Er erwähnte auch, dass Großbritannien, Frankreich und Polen den USA mehrfach erklärt hätten, dass Bedenken über die russische Seite einen Rückzug aus dem Abkommen nicht rechtfertigen würden. Maas bedauere die Austrittsankündigung, da der Vertrag zu „Sicherheit und Frieden in fast der gesamten nördlichen Hemisphäre“ beitrüge. Deshalb werde er alles tun, um den Vertrag zu bewahren. Der scheidende US-Botschafter Richard Grenell, der übergangsweise als Koordinator für die amerikanischen Geheimdienste fungiert, schlug verbal entsprechend schonungslos auf den deutschen Außenminister ein. „Anstatt sich über die Reaktion der USA zu beschweren, hätte Heiko Maas in den letzten Jahren den Druck auf Russland erhöhen müssen, damit es seinen Verpflichtungen nachkommt“, so Grenell nach einem Bericht von Sputnik International.

Einfach zu teuer?

Ultra-konservative US-Senatoren der Republikanischen Partei, wie Tom Cotton, Ted Cruz und Richard Burr, gehören zu den langjährig aktiven Kreuzrittern gegen sämtliche Sicherheits- und Rüstungsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland. Erst im März dieses Jahres verfassten sie einen Brief an Präsident Trump, in welchem sie ihm dringend den Ausstieg aus dem Open-Skies-Vertrag nahelegten. Darin bezichtigen sie Russland, die im Rahmen des Vertrags erlaubten Überflugsrechte für Spionage gegen den US-Präsidenten selbst genutzt zu haben, als nämlich im Sommer 2017 ein russisches Flugzeug in 1200 Metern Höhe nahe an Trumps Residenz in New Jersey herangekommen sein soll. Der Brief zitiert viele honorige Stimmen der US-Sicherheitspolitik, wie den ehemaligen Vorsitzenden des militärischen Nachrichtendienstes, Generalleutnant Vincent Stewart, den ehemaligen Chef des Strategischen Commandos, Admiral Cecil Haney, und auch den amtierenden Verteidigungsminister Mark Esper, die allesamt mit kurzen Zitaten dem Hauptargument der Senatoren zusätzliches Gewicht verleihen sollten. Allerdings hat Esper laut diesem Brief noch etwas anderes gesagt, nämlich, dass er die beiden aus den 1950er Jahren stammenden Aufklärungsflugzeuge, die für die Open-Skies Missionen der Amerikaner eingesetzt werden, nicht mehr modernisieren werde, da die Kosten in die hunderte Millionen gehen könnten. Wörtlich heißt es in dem Schreiben an Trump: „Diese Kosten stellen eine unnötige Last für unser Militärbudget und den Amerikanischen Steuerzahler dar, und würden den Rückzug von dem Vertrag allein schon rechtfertigen.“ In einem Meinungsartikel, der am 10. Dezember 2019 in der Washington Post abgedruckt worden ist, schrieb Senator Cotton bereits: „Die beiden speziell für Open-Skies Flüge verwendeten modifizierten US-Flugzeuge sind alt und teuer in der Unterhaltung. Die Flugzeuge, ein Ableger des KC-135, das zuerst in den 1950er Jahren eingesetzt worden ist, sind älter als der Vertrag und sind bereits schon mitten im Flug ausgefallen. Die Modernisierung dieser Maschinen würde beinahe eine viertel Milliarde Dollar kosten.“ Sind es also eigentlich finanzielle Gründe, die die Amerikaner zum Ausstieg aus dem OST drängen?

Oder obsolete Technik?

Die Auflösung der Bilder, die unter dem OST erlaubt sind, beträgt 30 cm pro Pixel. Senator Cotton spricht in dem erwähnten Washington Post Artikel offen aus, dass jeder sich auf dem freien Markt, zum Beispiel beim Datenkonzern Google, mindestes gleichwertige Bildinformationen kaufen kann. Zudem macht Cotton kein Geheimnis daraus, dass die USA längst über andere Aufklärungskapazitäten verfügen, zu denen auch „Satelliten, die Bilder kurzfristig überall auf dem Planeten aufnehmen können – einschließlich Kaliningrad und die Russisch-Georgische Grenze“ gehörten. „Open-Skies Überflüge stellen somit für uns eine veraltete technische Fähigkeit dar, aber eine sehr wichtige Ergänzung zu Russlands kleinerem Satellitennetzwerk mit seinen geringeren Möglichkeiten.“ Das Argument sollte man sich erneut vor Augen führen: weil ich eine bessere Technik entwickelt habe und damit die alte obsolet und nicht mehr finanziell tragfähig geworden ist, erhält mein Vertragspartner nun Vorteile aus der Vereinbarung, die ich ihm nicht gestatten will. Der Verdacht kommt auf, alles andere seien nur argumentative Nebelkerzen. Bis heute hat kein hochrangiger Vertreter der Amerikanischen Geheimdienste und des außenpolitischen Establishments auch nur einen einzigen Beweis für die seit Jahren vorgetragenen Vorwürfe vorgebracht, Russland habe den OST verletzt. Der Vertrag „unterläuft die Amerikanischen Sicherheitsinteressen,“ heißt es schließlich lapidar in der von Cotton, Cruz und Burr verfassten Senatsresolution vom Oktober 2019, und diene nur „Russischen Interessen“.

Ungewisser Ausblick

Auf der Webseite des US-Außenministeriums findet man jedoch etwas anders lautende Schlüssel-Informationen. Dort macht man auf die Tatsache aufmerksam, seit Inkrafttreten des Vertrags im Jahr 2002 seien “die Vereinigten Staaten jährlich fast dreimal so viele Flüge über Russland geflogen, wie Russland über die Vereinigten Staaten fliegt.“ Die Flugpläne von 2002 – 2016 würden 196 Anträge der Vereinigten Staaten über Russland und 71 Russlands über die Vereinigten Staaten ausweisen. Außerdem könnten die USA auch „Kopien des Bildmaterials von Flügen anderer Vertragsstaaten über Russland anfordern.“ Im Zeitraum 2002 – 2016 hätten über 500 solcher Flüge anderer Vertragsstaaten über Russland stattgefunden. Wieso also Russland allein den größeren Vorteil aus dem Vertrag ziehen soll, leuchtet unter diesen Umständen nicht wirklich ein. Derweil haben übrigens die Demokraten im US-Kongress bereits Widerstand gegen den OST-Austritt angekündigt. Diverse Ausschussvorsitzende wandten sich in einem Brief an Verteidigungsminister Esper und Außenminister Pompeo. Darin heißt es, die Ankündigung der Vertragsbeendigung verletze Vorschriften, nach denen der Kongress 120 Tage vorher in Kenntnis gesetzt werden müsse. Man verlange eine Rechtfertigung für diese „absichtlich illegale Aktion“. Ob in sechs Monaten der Open-Skies-Vertrag wirklich ohne weitere Verhandlungsversuche zwischen den USA und der Russischen Föderation ausläuft, werden Sicherheitsexperten weltweit sicherlich genau beobachten. Doch die Herausforderungen scheinen sich auch in Zukunft eher zu häufen als weniger zu werden. Nicht nur der erwähnte NewSTART-Vertrag läuft bereits im Februar 2021 ab, auch der Kernwaffenteststopp-Vertrag (CTBT) – erodiert vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Nach 1945 wurden rund 2000 Nuklearsprengköpfe getestet, bis diese Praxis 1992 mit wenigen Ausnahmen beendet wurde. Nun gaben vor rund einer Woche US-Medien bekannt, dass es Diskussionen in Kreisen des US-Militärs und unter Sicherheitsbeamten gäbe, Atomtests wieder aufzunehmen. Und, wer hätte das geahnt, die Legitimierung dafür ist erneut, dass Russland, und diesmal auch China, beschuldigt werden, das CTBT-Abkommen sowieso unterlaufen zu haben, indem sie, unbewiesen, heimlich unterirdische Test durchführen würden. Natürlich ist auch in diesem Falle wieder Senator Cotton der ultra-konservative Bannerträger dieser Initiative, den CTBT ad acta zu legen, denn, so schrieb Cotton bereits 2016 bei Fox News, wenn sich die USA an dieses Übereinkommen hielten, würde es – der Leser wird es bereits erraten haben – „die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten gefährden.“ Erfordert es also eine Welt ohne jegliche Sicherheitsverträge, Rüstungsbegrenzungsabkommen und vertrauensbilde Maßnahmen, damit sich die USA am Ende von niemandem bedroht fühlen? Das wäre nicht nur absurd, sondern brandgefährlich.

Kommentar: Poroschenko-Ermittlungen zielen auf Joe Biden

Der ehemalige Vizepräsident Joe Biden (rechts im Bild) mit dem damaligen Ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko am 20. Januar 2016 vor einem bilateralen Treffen in Davos. Quelle: US-Außenministerium / Public Domain

Gegen den ehemaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko hat der amtierende ukrainische Präsident Selenskyj mithilfe der Kiewer Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet. Es geht um möglichen Hochverrat und Machtmissbrauch. Ausgelöst wurde die Entscheidung durch Veröffentlichungen des Rada-Abgeordneten Andrij Derkatsch von Ausschnitten eines Telefongesprächs zwischen Poroschenko und dem damaligen US-Vizepräsidenten und wahrscheinlichen Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei für die kommenden US-Wahlen, Joe Biden. Die Aufnahmen, die aus den Jahren 2015-16 stammen, sollen belegen, dass Biden, der zu jener Zeit der höchstrangige Vertreter der Obama-Regierung mit Zuständigkeit für die Ukraine gewesen ist, ein Quid-pro-quo mit Poroschenko abgesprochen hatte. Biden habe dabei die Entlassung des damaligen Generalstaatsanwalts der Ukraine, Viktor Schokin, gefordert, und zwar als Bedingung für die Gewährung von einer Milliarde US-Dollar Finanzhilfe für die ukrainische Staatskasse. Poroschenko gewährte Biden anschließend die Bitte, feuerte Schokin, und bekam schließlich die Milliarde. Grund soll gewesen sein, dass Schokin Anti-Korruptions-Ermittlungen gegen den Vorstandschef des Erdgaskonzerns Burisma verfolgt hatte. Mit im Vorstand saß Joe Bidens Sohn, Hunter Biden.

Korruptionsverdacht erhärtet

50,000-100,000 US-Dollar Monatsgehalt strich Hunter Biden, der übrigens zu keiner Zeit über irgendwelche Kenntnisse aus der Erdgas-Wirtschaft verfügt hat, als Burisma-Vorstandsmitglied ein. Auch er war mit Sicherheit ins Visier der Fahnder geraten. Vater Biden hat seinen Sohn gegen mögliche strafrechtliche Ermittlungen schützen wollen, und tatsächlich stellte der Nachfolger Schokins, Jurij Luzenko, die Untersuchungen ein. Die nun veröffentlichten Tonaufnahmen untermauern nun die Korruptionsvorwürfe gegen die Bidens. Bislang wurde diese These in erster Linie von US-Präsident Donald Trump, seinem Anwalt Rudi Giuliani und weiteren vorwiegend republikanischen Unterstützern des US-Präsidenten ins Feld geführt, einerseits, um sich in der Impeachment-Auseinandersetzung gegen seine Demokratischen Opponenten zu wehren und  gleichzeitig mit Joe Biden seinen potenziellen Gegenkandidaten im Präsidentschaftswahlkampf zu schwächen. Doch nun weitet sich die Angelegenheit möglicherweise großflächig aus, mit unabsehbaren rechtlichen Folgen für Teile des Obama-Kabinetts, den kommenden Wahlausgang in den USA und die Amerikanisch-Russischen Beziehungen.

Experte Asafow: „Es soll Biden treffen“

Der russische Politikwissenschaftler Alexander Asafow bemerkte in einem vor kurzem geäußerten Kommentar, dass „die Veröffentlichung dieses Schmutzes weder Poroschenko noch der Ukraine als Staat schaden wollte, sondern direkt Biden.“ Trumps Anwalt Giuliani hatte bereits seit 2019 im Zuge persönlicher Recherchereisen in die Ukraine das Material, das nun der Abgeordnete Derkatsch an die Öffentlichkeit trug, durch investigative Journalisten und Whistleblower erhalten und deren Veröffentlichung auch in zahlreichen Fernsehinterviews mit amerikanischen Sendern angekündigt. Nach Asafows Einschätzung sind die Tonbänder glaubwürdig und der Kontext korrekt dargestellt. Sie zeigten, dass „die Ukraine unter strenger Kontrolle der USA“ gestanden habe, „und Biden direkt an diesen Prozessen beteiligt“ gewesen sei. Das Material habe lange in der Ukraine geschlummert und sei nun aktiviert worden, um „dem amerikanischen Wähler noch einmal zu zeigen, dass Biden eine aktive Rolle in der Regierung der Ukraine spielte und noch spielt, und dass daher alle Behauptungen, von denen Giuliani gesprochen hat, wahr sind. Man wird dies im Wahlkampf von Trump verwenden.“ Tatsächlich soll Trump hochrangigen Parteimitgliedern längst eingeschärft haben, die Machenschaften der Bidens in der Ukraine zu einer prominenten Sache zu machen.

Fraktionskämpfe in Washington

Dazu passt, dass der republikanische Senator Ron Johnson, Vorsitzender des mächtigen Ausschusses für Nationale Sicherheit und Regierungsangelegenheiten, nun eine strafbewehrte Vorladung, ein Subpoena, an Burisma-Lobbyist Andrij Telizhenko beschließen ließ. Johnson versuchte seit fünf Monaten an Dokumente zu gelangen, die sich in Besitz von Telizhenkos Unternehmen Blue Star Strategies befinden, und die die Arbeit Hunter Bidens bei Burisma beleuchten sollen. Noch vor den Wahlen im November will Johnson einen Bericht über Hunter Bidens Verwicklungen mit dem Ukrainischen Erdgas-Konzern vorlegen. Die Demokraten im Ausschuss votierten nicht nur gegen das Subpoena, sondern warfen Johnson vor, „sich unwissentlich zur Spielfigur in einer Russischen Desinformationskampagne“ gemacht zu haben. Der Fraktionsvorsitzende der Demokraten, Senator Chuck Schumer, sprach sogar davon, Republikaner benutzten „Russische Propaganda, um zu versuchen, einen politischen Gegner zu schaden.“ Die Bezeichnung „Russische Propaganda“ stellt im politischen Washington, trotz des Scheiterns des gegen Trump lancierten „Russiagate“, nach wie vor die Bazooka unter den politischen Angriffswaffen dar. Westliche Medien habe bereits begonnen, die Sache massiv herunterzuspielen. So behauptete das Magazin Spiegel Online, dass die Aufnahmen „keinen einzigen Beleg für Derkatschs Behauptung“ enthielten. Gleichzeitig gibt man zu, dass die USA tief in die Kiewer Politik eingriff, Parlamentsstimmen kaufte und ukrainische Oligarchen wie den Milliardär Ihor Kolomojskyi begünstigte. Auch die Europäische Union habe die Entfernung Schokins aus dem Amt unterstützt. Die Ermittlungen und Enthüllungen werden sicherlich weitergehen und letztlich auch die Frage aufwerfen, welche Rolle die Obama-Administration bei den Ereignissen rund um den Regimewechsel 2014 in Kiew gespielt hat. Es handelt sich bei Derkatschs Material also nicht nur um einen simplen Fall von Korruption, sondern um ein Puzzleteil in einer globalen geopolitischen Auseinandersetzung zwischen globalen Großmächten um die Richtung der Ukraine.

Experte der Woche: Leonid Grigorjew

Professor Leonid Grigorjew

Leonid Grigorjew ist Professor an der russischen Hochschule für Wirtschaft (HSE). Zu seinen Hauptforschungsgebieten gehören die globale und russische Wirtschaft, globale Energiewirtschaft, Mittelstand, Kapitalbildung und private Finanzen. Er sagt, dass er „als Ökonom etwas Nützliches für sein Land leisten“ wolle. „Doch den meisten Spaß habe ich an Geschichte.“

Grigorjew ist zudem Chefberater im Analytischen Zentrum für die Regierung der Russischen Föderation, eine 2012 aus dem öffentlichen Sektor outgesourcte und eigenfinanzierten Regierungsabteilung in der Rechtsform einer Denkfabrik. Sie beschäftigt rund 200 feste Angestellte und ist eine der weltweit bekanntesten ihrer Art. Grigorjew erfüllt hier alle möglichen Aufgaben: Mediensprecher, Repräsentant bei internationalen Konferenzen, Forschungschef und Berater des Vizepremiers. Neben der Veröffentlichung zahlreicher Publikationen über die Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU), organisiert das Zentrum auch das Akademische BRICS-Forum und ca. 100 weitere Veranstaltungen pro Jahr. „Alles, was man im Westen über BRICS erfährt ist Unsinn, seichte Unterhaltung, Geldverschwendung für die Sponsoren, und hat meistens nichts zu tun mit der Realität,“ so Grigorjews Einschätzung. Anfangs sei man in Europa auch feindselig gegenüber der EAEU gewesen, aber das habe sich nun geändert. „Nun versuchen sie, Brücken aufzubauen.“

Denn Europa ist nach wie vor der wichtigste Bezugspunkt für Russland, sagt Grigorjew. „Wir schauen in den Osten nur aus praktischen Gründen, mental sind wir immer noch 100% in Europa. Bei der HSE haben wir die höchste Zahl von Hochschulabsolventen, etwa 150, im ganzen Land. Alle studieren auf Englisch, und erlernen dann als Zweitsprache noch wahlweise Sprachen wie Chinesisch, Japanisch, Arabisch, Deutsch, Italienisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch.“ Über die HSE-Absolventen kommuniziere Russland mit der ganzen Welt. Der Professor gehört eigentlich zur Nachkriegsgeneration, die eigentlich ihre wohl verdienten Pensionen bekommen müsste, jedoch immer noch arbeitet, und zwar aus drei Gründen: „Ersten kann man eine einmal gestartete Rakete nicht stoppen. Wir würden sterben, wenn wir aufhörten, zu arbeiten. Wir tun es also, um unser persönliches physisches Überleben zu sichern.“ Ein weiterer Grund ist der durch den gesellschaftlichen Einbruch in den 1990er Jahren entstandene historische Spalt. „Deshalb habe ich fast keine Mitarbeiter über 40. Es klafft eine Lücke von rund 20 Jahren. Einige leitende Angestellte, zum Beispiel der stellvertretende Dekan für Wissenschaften, hat mit 31 seinen Posten angetreten, den man normalerweise an jemanden in seinen 50ern geben würde. Aber In fünf Jahren wird die Lücke geschlossen werden. Dann kann ich endlich aufhören.“

Zitate:

US-Russische Sicherheitszusammenarbeit

„Trump ist ein Entertainer, der sich selbst unterhält. Wir können ihn nicht ausstehen. Unsere Beziehungen gehen bergab im Bereich auswärtige und diplomatische Angelegeneheiten, und auch bei der Wissenschaftskooperation. Was gut ist, ist, dass wir uns zumindest nirgendwo militärisch bekämpfen. Und wir haben eine funktionierende Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen. Russland-NATO Beziehungen stehen auf einem schmalem Grad und sind streng auf Sicherheitsfragen beschränkt, nichts anderes. Wir meiden Konflikte. Wir haben zum Beispiel bei der Verhinderung eines Terroranschlags in St. Petersburg zusammengearbeitet. Es gibt auch Zusammenarbeit bei der Sicherheit in Syrien. Aber es gibt auch viele Unterschiede. Die offizielle Doktrin der USA lautet, dass wir eine Bedrohung für sie wären. Sie wollen uns eindämmen. Was wichtig ist: in unserer Militärdoktrin haben wir nichts ähnliches, denn darin geht es schlicht um unsere Landesverteidigung, ganz offiziell und praktisch. Es hat keine Ideologie so wie in den Sowjetzeit. Wir haben gar nicht die personelle Stärke, dass wir uns außerhalb unserer eigenen Interessen bewegen und irgendwelche offensive Positionen gegenüber der Welt einnehmen könnten. Das sage ich als Ökonom und als Bürger meines Landes.“

Sanktionen und Kriegsgeschichte

„Wir haben einen guten Witz, der noch aus der Sowjetzeit stammt: ein Pessimist ist ein gut informierter Optimist, und ein Optimist ist ein gut ausgebildeter Pessimist. Wir Russen sind sehr vorsichtig im Augenblick. Vielleicht wird sich irgendwo etwas positives bewegen, wenn man bewusst nach einem Flecken blauen Himmel sucht zwischen den Regenwolken. Man kann uns nicht leicht zum Optimismus bewegen, aber jede Gelegenheit ist willkommen. Nun wurde Nord Stream 2 durch Sanktionen gestoppt und man rüstet jetzt ein Schiff um, das in Sachalin Pipelines verlegt hat. Andererseits sind Sanktionen ein versteckter Segen. Die Sanktionen für technische Güter haben die russischen Energie-Forschungsinstitute wiederbelebt. Wenn keine Gefahr herrscht, tendieren Russen dazu, sehr faul zu werden. Sobald die Gefahr wieder auftaucht, wachen sie sofort auf und fangen an, etwas zu tun. Ich sage Ihnen, Deutsche sind meist politisch korrekt, ganz im Gegenteil zu den Russen, die normalerweise nicht politisch korrekt sind. Konkurrenzkämpfe in der Industrie waren auch der eigentliche Grund für den Ersten Weltkrieg. Es gab direkte Verhandlungen zwischen dem deutschen Kaiser Wilhelm und Britischen und Französischen Regierungsvertretern. Deutschland wurde zum Exporteur günstiger und qualitativ guter Manufakturgüter. Die Briten und Franzosen wollten verhindern, dass diese in ihren Kolonien verkauft werden konnten. Das wurde zum Problem. Amerika produzierte, Russland kaufte und wuchs vor dem Krieg schneller als Deutschland, wenn auch von einer niedrigeren Basis aus, aber sehr schnell. Das einzige Großprojekt ohne Korruption war die transsibirische Eisenbahn. Pyotr Durnovo warnte in seinem bekannten Memorandum dann, dass der Konflikt ein Britisches Problem sei und Russland sich nicht in den Krieg hineinziehen lassen solle. Es macht großen Spaß, es zu lesen. Das war Monate vor Kriegsausbruch. 30 Seiten, sehr eloquent und ausführlich.“